STYX
Orfeo’s past Now
Ein Musiktheater von Martina Veh und Christopher Robson
Musik: Alexander Strauch /Claudio Monteverdi
Premiere (Uraufführung): Donnerstag, 27. November 2014 um 20.30 Uhr
im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke München (mit dem Team von Frau Dr. Ingeborg Kader)
Weitere Aufführungen: 28/29./30. November, 1. Dezember und 1. Dezember 2014 jeweils um 20.30 Uhr
Infomaterial in Deutsch als pdf
Videokurzfassung der Produktion mbm medienproduktion Michael Bieser
Musikalische Leitung/Einstudierung: Nicholas Kok
Ensemble: United Continuo Ensemble
Inszenierung: Martina Veh
Video/Raum: fettFilm (Torge Möller, Momme Hinrichs)
Video-Operator: Raphael Kurig,Thomas Mahnecke
Licht/Raum: Benedikt Zehm
Fotos Roy Hessing (Bilder 1-3 , 5-7, 9, 10) Regine Heiland (Bilder 4 , 8)
Bühne: Stefan Wintersberger
Kostüm: Nikolaus Maier
Fotos: Roy Hessing
Projektleitung: Alexandra Zöllner
Mitwirkende:
KS Christopher Robson (Mann bzw. Orfeo),
Florence Losseau - Mezzosopran (Frau bzw. Euridice),
Marios Sarantidis - Bariton (Reinigungskraft bzw. Caronte)
Vokalensemble Cantar e Suonar, Leitung: Anne Isenberg,
Jörg Meder - electric viola da gamba,
Axel Wolf - Theorbe, Friederike Otto - Zink
Inhalt:
"Lasst, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren" (Dante, Divina Comedia)
Die Hölle im Alltag eines Museumsangestellten: Orfeus ist alt geworden und blickt zurück. Die Hoffnung führt ihn immer wieder an der Nase herum und verschiebt seine Wahrnehmung. Er begegnet seiner vor Jahren verschwundenen Frau Eurydice, nachdem er mithilfe seiner Sangeskunst Caronte, den Fährmann, überreden konnte, ihn über den STYX, den Fluss der Unterwelt überzusetzen. Der Gesang verfehlt nicht seine Wirkung. Bereitwillig schläft Caronte ein. Dort in der Unterwelt,. der irrealen Scheinwelt des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke, wird die Begegnung mit der Vergangenheit möglich. Orfeus blickt zurück. Doch dieser Blick zurück, lässt ihn sein "Jetzt" verlieren, in das er dennoch immer wieder zurückkehren muss. Sein Alltag geht weiter. Er bereitet - wie so oft - für den Abend eine Vortrags-Veranstaltung des Museums vor. Und selbst dort sieht er sich in seiner verzerrten Wahrnehmung der Messaggiera, der Botin, gegenübergestellt, die wiederum nur den Tod seiner geliebten Frau verkündet.
Aus Orfeo's Versuch heraus, Erinnerung - vor dem Verschwinden - noch einmal in die Gegenwart zu rufen, entstehen Stimmen, Bewegungen, Handlungen, Bilder, poetische Assoziationen, die den Zuschauer eintauchen lassen in ein Erfahrungsfeld sich überlagernder innerer Zustände.
Grenzüberschreitungen: Musik/Inszenierung/Video
„Das Gewesene und Gewordene ist eine Messlatte für unsere eigene Gegenwart: Es schafft Distanz zu uns selbst, ermöglicht Refexion. Es zeigt uns Alternativen zu unseren Lebenszwängen und Denkgewohnheiten, es befreit von dem Absolutheitsanspruch der Gegenwart“. V.M. Strocka (Archäologe)
Grenzüberschreitung ist ein Paradigma unserer Zeit. Das Motiv der Grenz- überschreitung findet in unserem Stück seine Entsprechung in der mythischen Figur des Orpheus. Ihm gelingt es aus Liebe zu Eurydike den Styx, die letzte Götter-gegebene Grenze zwischen Leben und Tod, zu überqueren. Der antike Mythos begegnet uns im Alltag eines Museumsangestellten, der sein Leben aus der Erinnerung bestreitet. Er verliert dabei immer mehr den Bezug zum „Hier und Jetzt“: Orfeo‘s past now.
Die musikalisch/szenische Grundlage unserer Urauffühung orientiert sich am Kern von Monteverdis „L’Orfeo“ (1607). Der Fluss der musikalischen Umsetzung erwirkt durch eine treffende Grundstimmung einen tiefen emotionalen Zugang zu den seelischen Zuständen des Orpheus. Der Schwerpunkt der Inszenierung liegt auf dem ständigen Spiel respektive Überschreitung der Schnittstelle zwischen den Dimensionen, Innenwelt und Außenwelt, Jetzt und Vergangenheit, Wirklichkeit und Erinnerung, Dehnung oder Infragestellung der zeitlichen Räume, unterstützt durch das Medium Video.
Die Video- Projektionen bestehen aus einer Mischung eher realistischer Vorstellungswelten, abgeleitet von dem Alltag des Protagonisten und Erfndungen, die realistische Ereignisse zitieren. So z.B. begegnen wir im Video der Zeit, bevor Eurydice aus dem Leben von Orpheus verschwand oder aber es wird die sehr individuelle Wahrnehmung des Orpheus sichtbar, der beispielsweise in der Postbotin seine Eurydice zu erkennen glaubt.
Der Inhalt der Projektionen setzt sich grundsätzlich mit dem Prozess des Vergessens auseinander. Daher bildet den Roten Faden die Figur der Eurydice, die – bis auf eine szenische Begegnung – ausschließlich per Video in Erscheinung tritt.
Martina Veh
Musik
Wie nähert sich ein Komponierender des 21. Jahrhunderts der Musik Claudio Monteverdis? Denn dabei ist die Balance zwischen Komposition und Arrangement schwer zu halten, angesichts des einzusetzenden Instrumentariums, angesichts der bestehenden Musik, vor allem für das Favola di Orfeo“ Original aufbauenden Counter- tenorpartie. Ich habe ihm sein Fundament gestrichen: die Linie des Basso Continuo. Auf dieser ruhte sonst Monteverdis Harmonik, ist sie die Spielebene für jede instrumentale Ausgestaltung einer Orfeo-Aufführung.
Dieses Weglassen ermöglichte mir meine eigene Harmonik dem Verwendeten Orfeo-Melos hinzuzufügen. Durch stationäre Fokussierung auf z.B. ausgedehnte oder variierte Teile der Originallinie, Kombination meiner eigenen Linien für die „Frau“ und den „Bürobariton“ – ich tituliere Messagiera/Euridice und Caronte lieber so, da sie weniger die Monteverdi- Partien sind, sondern, wie der Countertenor, in Derivaten dieser Rollen agieren – werden Fenster für meine Wege geöffnet.
Die Meta-„Frau“, dem Counter so fern und doch so nah, ist durchwegs lyrisch gehalten, der „Bürobariton“ ist mit seinem „Raschelchor“ zwischen Sprechen und Singen angesiedelt, wie Caronte Ober- mit Unterwelt verbindet.
Ähnlich ist das Instrumentarium eine Brücke zwischen gestern und heute: Zink, Orgel, Theorbe, Cembalo und Orgel, z.T. in alter mitteltöniger Stimmung verbindensich mit E-Gambe und dem Viertelton-Synthesizer, die „Alten“ stehen für Naturterzen und mitteltönige Quinten, der verstimmte Synthesizer für Natursept und Naturtritonus, wodurch eigentlich eine andere kristalline „Schönheit“ entsteht.
Formal nähert sich meine Musik in Linien einer Schlange, die Euridice den tödlichen Biss im Mythos verpasste, Monteverdi an, bis zu Beginn des letzten Drittels dessen Madrigal „Ohime il bel viso“ zu hören sein wird. Gegen Ende gelangt man über eine Motivwiese, Proportionskanoninterludio und einer Neuvertonung der Todesverkündigung an den Schluss, der nochmals ein Fragment des Anfangs auf- greift, wenn der Countertenor vermeintlich die leuchtenden Augen seiner schattenhaften Frau erblickt.
Alexander Strauch
Kommentar von Dr. Ingeborg Kader:
(Leitung des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke München)
In welcher Welt leben wir eigentlich? Diese Frage zu stellen, hat heute durchaus eine Berechtigung. Das Digitale Zeitalter mit seinem grenzen- losen Potenzial hat das analoge Zeitalter beerdigt, die Galaxis Gutenberg hinter sich gelassen, imaginäre Grenzen eingerissen, die Welt zu einem Dorf gemacht, unseren Horizont ins Endlose erweitert, einen ungeahnten Schatz menschlicher Kreativität ans Licht gehoben und so neue Kreativität entfesselt… Es hat in den letzten Jahren etwas stattgefunden, was man nach Konrad Lorenz eine Fulguration nennen könnte: ein Entwicklungs- sprung, der sich aus dem Vorgängermaterial allein nicht mehr logisch ableiten lässt.
Die technischen Hilfsmitteln entsprungene virtuelle Welt hat den Ausschließlichkeitsanspruch der uralten analogen Welt vor aller Augen aus den Angeln gehoben. Wir denken heute nicht nur in mehreren Welten, sondern projizieren unsere Vorstellungen ganz selbstverständlich bereits in Par- allelwelten, Multiversen und neue Dimensionen. Und wir müssen uns das nicht mehr nur ‚vor unserem geistigen Auge‘ vorstellen, sondern können das permanent mit einem Klick direkt ansehen und erleben.
Heute kann innen = außen und außen = innen sein. Dieses Lebensgefühl ermöglicht uns in noch nie dagewesener Weise, den wirklichen Gehalt des antiken Mythos oder von Platons Ideenwelt nachzuvollziehen. Schon Plotin erkannte, dass die Seelen naturgemäß in zwei Welten leben sollten (amphibios) und folgte hiermit Heraklit, der sagte: „Im Wechsel liegt die Erholung“. Die alten Griechen umgaben sich in ihrem Alltag mit Bildern von Wesen aus einer jenseitigen Welt, die für die Augen des menschlichen Körpers nicht sichtbar waren. Wieso? Odysseus und Orpheus überschritten ganz selbstverständlich die Grenze vom Leben zum Tod, um mit Verstorbenen zu sprechen. Wussten sie etwas, das wir vergessen haben? Fragen über Fragen, so brandaktuell wie nie zuvor…
Gefördert von
der Landeshauptstadt München, der Ernst von Siemens Musikstiftung, dem Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, B.O.A. Videofilmkunst
in Kooperation mit BR-Klassik, dem NeueMusikSalon der Münchner Volkshochschule
und der Hochschule für Musik und Theater München
Eine Produktion der Orpheus GbR und ZÖLLNER! Kulturprojekte